Seit fast einem Jahrzehnt beherrschen steigende Haus- und Wohnungspreise dank extrem niedriger Zinsen die Schlagzeilen auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt. Im Jahr 2022 änderte sich die Situation. Angesichts der hohen Inflation und steigender Zinsen begannen die Immobilienpreise in der zweiten Jahreshälfte zu sinken, ein Trend, der bis heute anhält. Als allgemeine Regel gilt, dass eine Erhöhung der Wohnimmobilienpreise um 1 Prozentpunkt zu einem inflationsbereinigten Preisrückgang von 3 % führt. Dadurch stehen nicht nur private Immobilienverkäufer unter Druck, sondern auch börsennotierte Immobilienkonzerne: Einige Unternehmen haben in einem einzigen Jahr 50 % ihres Marktwerts verloren.
Europäische Immobilienaktien werden jetzt wieder zu Bewertungen gehandelt, die der Finanzkrise 2008/2009 entsprechen. Und wie sieht es mit der Dynamik der Haus- und Wohnungspreise aus? Stehen wir tatsächlich vor einem langfristigen Abwärtstrend wie den aktuellen Börsenbewertungen? Nicht unbedingt, denn viele Faktoren deuten darauf hin, dass der aktuelle Rückgang der Immobilienpreise eher ein kurzfristiger als ein langfristiger Preisrückgang sein könnte.
Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins (Einlagensatz) Anfang Mai auf 3,25 % erhöhte, waren die Realzinsen in Europa und Deutschland aufgrund der anhaltend hohen Inflation niedrig (April: 7,0 %). Und 7,2 %) liegt zuletzt immer noch im Minus. Das bedeutet, dass verzinsliche Produkte mit guter Bonität zumindest vorerst kaum einen Inflationsschutz bieten, sodass Immobilien weiterhin attraktiv bleiben. Denn in Zeiten hoher Inflation ist Vermögen generell attraktiver; insbesondere wenn die Preise in der Wirtschaft wahrscheinlich nicht stark steigen, sich aber bei wichtigen Vermögenswerten der Anlageklasse langfristig stabilisieren oder sinken werden.
Mietwachstum: Die Nachfrage nach Mietobjekten dürfte auch in Zukunft weiter zunehmen. Mittlerweile liegt die Nettozuwanderungsstruktur nach Deutschland mit 300.000 pro Jahr wieder auf dem Niveau vor der Pandemie. Auch die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine nimmt zu. Aufgrund der Zuwanderung wird die Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahr 2030 voraussichtlich von derzeit 84,3 Millionen auf knapp 86 Millionen anwachsen. Dadurch steigt die Nachfrage nach Mietwohnungen und damit die Gesamtmiete.
Bezahlbarer Wohnimmobilien ist vielerorts noch nicht verfügbar. Laut der Deutschen Bank wird die Zahl der Baugenehmigungen in diesem Jahr und die Zahl der fertiggestellten Wohnungen auf 246.000 (2022: 295,3 Tsd.) sinken. In Zukunft werden sie wahrscheinlich auch keinen nennenswerten Sprung machen. Zwar dürften die Baumaterialkosten erneut sinken, steigende Löhne könnten dies jedoch mehr als ausgleichen und somit zu zusätzlichen Gesamtbaukosten führen. Weitere Tariferhöhungen könnten den Bau von Immobilien zusätzlich verteuern.
Kurzfristig sieht es so aus, als ob sich die Entwicklung der Immobilienpreise ändern wird. Risiken wie Inflationsbewegungen und damit verbundene geldpolitische Entscheidungen der Zentralbanken müssen jedoch sorgfältig überwacht werden. Wenn die Inflation weiterhin 2 % erreicht und die EZB ihren Zinserhöhungszyklus in nicht allzu ferner Zukunft beendet, wie z. B. von der Deutschen Bank erwartet, könnte die Unsicherheit unter Immobilieninvestoren mit sinkenden Zinsen nachlassen. Bis 2030 könnten die Immobilienpreise ähnlich wie in den 1970er Jahren um einen Prozentpunkt über der Inflationsrate steigen. Geht man von einer durchschnittlichen jährlichen Inflation von 3 % aus, bedeutet dies einen Anstieg von 4 % pro Jahr. Das Mietwachstum dürfte ebenso hoch ausfallen, sodass der anfängliche Mietkapitalisierungssatz vom aktuellen Niveau abweichen kann: Im oben genannten Szenario würde er bei etwa 3,7 % liegen. Dies erfordert neben höheren finanziellen Kosten beispielsweise eine Wiederaufbauförderung und eine CO2-Steuer. Vor diesem Hintergrund erscheinen aus Sicht der Deutschen Bank die exorbitanten Renditen der bis Anfang 2022 andauernden Boomphase überholt. Gegen dieses Basisszenario könnte der Immobilienmarkt jedoch erneut interessante Investitionsmöglichkeiten bieten.
Wenn die Inflations- und Zinssätze sowie die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsaussichten positiv sind, könnte dies den Immobiliensektor beflügeln. Angesichts der derzeit niedrigen Bewertungen in der Branche könnten langfristige und risikoscheue Anleger eine Investition in Wohnimmobilien in Betracht ziehen, um ihre Portfolios zu diversifizieren. Angesichts der aktuellen Klimaschutzbemühungen bedarf es neuer energieeffizienter Gebäude unter Berücksichtigung der Kosten für die Sanierung bestehender Niedrigenergieimmobilien besonderer Aufmerksamkeit.
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Ihre Juliane Degen
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